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Natascha W., Anfang 20

Natascha lebt seit Geburt mit einem Herzfehler, genauer gesagt mit einer Trikuspidalklappenatresie, bei dem die Trikuspidalklappe verschlossen, und die rechte Herzkammer infolgedessen unterentwickelt ist.

Sie ist eine echte Frohnatur, geht sehr positiv damit um und ist damit ein echtes Vorbild für andere Menschen, die mit einem Herzfehler leben.

Wir durften sie zu einem kleinen Interview treffen. Ihre lebensbejahende Einstellung ist ansteckend und macht Mut!

Fotos Copyright Saskia Frietsch, Projekt Grenzenlos: Instagram

Du lebst mit einem angeborenen Herzfehler nach dem Motto „herzkrank geboren – ein lebenslanger Weg“. Was war bisher Dein eindrücklichstes Erlebnis? Was hat Dir immer wieder Mut gemacht?

Ich wurde zwei Mal am Herzen operiert (Fontan-OP), das erste Mal mit acht Monaten, das zweite Mal mit zwei Jahren. An die OPs kann ich mich natürlich nicht mehr erinnern. Meine Eltern sagen, das schlimmste für mich war wohl, dass ich nach der zweiten Operation immer wieder aufstehen und laufen wollte, meine Beinmuskulatur aber zu geschwächt war und mich nicht tragen konnten. Meine Herzfunktion ist seit ich denken kann eingeschränkt. Damit sich an den Nahtstellen keine Thromben bilden, habe ich gut 18 Jahre Marcumar nehmen müssen. Aufgrund der Erkenntnissen aus Langzeitstudien durfte ich auf ASS „umsteigen“. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen und denke absolut positiv. Auch das gibt mir im Alltag immer wieder Kraft und Zuversicht. Und ich weiß Dinge besser einzuschätzen. Wenn mir bspw. mal das Handy zu Boden fällt und kaputtgeht, ist so was kein Beinbruch (lacht).

Bisher gab es nur ein Ereignis, bei dem ich wegen meines Herzfehlers diskriminiert wurde. In der 8. Klasse stand eine Ski-Freizeit an. Aufgrund meines Herzfehlers und der Einnahme von Marcumar durfte ich zu der Zeit kein Ski fahren. Einer der mitfahrenden Sportlehrer teilte mir mit, dass ich nicht mitfahren darf, weil ich ja kein Ski fahren darf. „Es fahren nur die mit, die Ski fahren.“ Das habe ich bis heute nicht verstanden, da ich ja wollte, aber nur aus gesundheitlichen Gründen nicht durfte. Ein Mitschüler, der sich ein paar Wochen zuvor den Arm gebrochen hatte, durfte allerdings mitfahren obwohl auch er kein Ski fahren konnte. Am Ende haben sich meine damalige Klassenlehrerin und mein ehemaliger Schulleiter aber so toll für mich eingesetzt, dass ich dann doch mit durfte!

Andere eindrückliche Erlebnisse hatte ich jedoch mit einer anderen Einschränkung: durch eine Fehlbildung hatte ich 1,5 Wirbel zu viel in meinem Körper. Dadurch hat sich eine starke Skoliose gebildet. Diese hat mich ca. 15 Jahre lang begleitet und war irgendwann so stark zu sehen, dass mich die Leute teilweise “Quasimodo” nannten und mein Buckel eigentlich gar nicht mehr zu verstecken war. Leider wurde ich deswegen auch gemobbt und diese Zeit war sehr schwierig für mich. Die Wirbel mussten vor etwa fünf Jahren operativ entfernt werden, sonst hätte sich der Rücken irgendwann so stark gekrümmt, dass die Organe zerquetscht worden wären. Bedingt durch meine Herzprobleme war diese OP sehr kompliziert und erforderte im Vorfeld einige Untersuchungen ob diese OP überhaupt stattfinden konnte.

Durch meine großen Narben auf der Vorder- und Rückseite könnte man fast denken, mein Körper wäre von einem riesigen Speer durchbohrt worden (lacht). Ich bin ein Bauch- und Herzmensch. Mein Herz begleitet mich mein Leben lang. Und da ich so eine besondere Beziehung zu meinem Herz pflege, habe ich mir ein anatomisches Herz tätowieren lassen.

Du hattest schon mehrfach Berührungspunkte mit dem BVHK. Was hast Du dabei „mitgenommen“?

In einem Wartezimmer einer Klinik bin ich auf die Flyer der „BVHK Reiterwoche“ aufmerksam geworden. Hier konnte ich zwei Mal teilnehmen. Und es waren sehr intensive und tolle Erfahrungen. Ich konnte mich mit anderen Jugendlichen austauschen, die gefühlt viel stärkere Einschränkungen hatten als ich – das hat sehr viel Mut gemacht. Und es sind auch richtige Freundschaften entstanden.

Du hast beim Projekt „Grenzenlos“ mitgewirkt. Wie kam es dazu?

Das war Zufall. Bei einer der BVHK Reiterwochen habe ich Sabrina kennen gelernt, die einige Jahre später auch bei dem Projekt mitgemacht hat. Durch sie bin ich darauf aufmerksam geworden. Etwas später kam dann auch der Kontakt zu Saskia Fritsch, die das Projekt ins Leben gerufen hat, zustande.

Du bist Anfang 20 und hast schon sehr viel erlebt. Gab es für Dich schon mal größere Krisen, und wie ist Deine weitere Lebensplanung?

Das bleibt leider nicht aus. Natürlich war ich häufiger am Boden zerstört. Vor allem das Mobbing bezüglich meines Rückens hat mir zu schaffen gemacht. Ich konnte ja nichts dafür, dass ich so aussah, wie ich nun mal aussah. Und mal eben etwas ändern ging leider auch nicht. Kurz vor der Rücken-OP bin ich regelrecht im Schoß meiner Mutter zusammengebrochen. Mir hilft es, viel zu reden. Meine Freunde, allen voran aber auch meine Familie, war in der schwierigen Zeit für mich da. Und ich habe festgestellt, dass ich ein sehr starker Mensch bin. Ich kann nichts ändern, wenn ich mich nur zurückziehe und weine. Am Ende stehe ich immer wieder auf! Kurz vor der OP gab es den Gedanken, eine Therapie zu beginnen. Da wir aber die Hoffnung hatten, dass es mir nach meiner OP besser geht, wollten wir diese erst abwarten. Als ich aus der Narkose aufgewacht bin, haben meine Augen direkt gestrahlt. Ich fühle mich seitdem wie ein neuer Mensch! Ich kann Menschen mit Depressionen oder denen es seelisch einfach nicht so gut geht aber raten, sich professionelle Hilfe zu holen.

Ich schaue positiv nach vorne. Natürlich habe ich – wie die meisten Menschen – eine Lebensplanung. Zunächst möchte ich meine Ausbildung erfolgreich abschließen. Darüber hinaus habe ich mich intensiv in die Fotografie eingearbeitet, und hiermit möchte ich mich weiterentwickeln. Und natürlich möchte ich irgendwann auch Kinder haben.

Dank des medizinischen Fortschritts erreichen 95 % der herzkranken Kinder das Erwachsenenalter – eine erfreuliche Entwicklung mit Langzeitwirkung! Was muss sich noch ändern?

Die Medizin und die Forschung sind sehr weit, hier ist schon sehr viel geschehen. Eine bedauerliche Entwicklung ist allerdings der akute Pflegenotstand.

Was sich noch ändern muss? Ich finde, vor allem müssen sich die Menschen ändern!

Mir fehlt im Alltag häufig die Menschlichkeit und die Akzeptanz, dass manche eben anders sind als der Großteil der Bevölkerung.

Welche Botschaft möchtest Du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Gib niemals auf.

Steh auf und denke positiv.

Du kannst auf Deinen Weg, den bereits hinter Dir hast, stolz sein.

Und Du kannst aus Fehlern lernen und sogar darauf aufbauen.

Und vergiss nie, zu „leben“.

Vielen Dank für das Interview!

Weitere Informationen

Comic "Unter die Haut"

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