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Foto: Projekt Grenzenlos – Saskia Frietsch

Sabrina (19)

geboren mit Hypoplastischem Linksherzsyndrom (HLHS)

Sabrinas Instagram-Seite: fragments of living

Heute stehe ich hier und kann in den Spiegel sehen und Stärke hinter all den Narben sehen, die meinen Körper bedecken. Ich sehe eine 19-jährige Frau, die sich endlich ganz fühlt, obwohl sie nur mit einem halben Herzen lebt.

Erzähl uns kurz etwas zu deinem Herzfehler.

Als ich 5 Tage alt war, wurde bei mir das Hypoplastische-Linksherzsyndrom zusammen mit weiteren kleineren Herzfehlern diagnostiziert. In mehreren Operationen am offenen Herzen wurde mein komplettes Herz-Lungen-Kreislaufsystem umgebaut, zum sogenannten „Fontankreislauf“. Die wenigsten wissen, dass Betroffene mit einem Fontankreislauf nicht einfach geheilt werden können, sondern diese Operationsmethode ist nur palliativ, also lebensverlängernd.

Somit hatte ich von klein auf Einschränkungen im Alltag. Nach vielen Komplikationen, einigen Tagen im Koma und einer Reanimation bin ich nun in der Lage, mit nur einem halben Herzen zu überleben. Aber ich möchte mehr als nur überleben: Ich will leben!

Wie sehen deine Narben aus und wie hat deine Umwelt reagiert?

„Du sieht doch gar nicht so krank aus“, war einer der häufigsten Kommentare bezüglich meines Herzfehlers. Doch muss man jemandem seine Behinderung immer ansehen, nur um Verständnis und Akzeptanz zu erfahren?

Abgesehen von der Narbe sieht man mir meine Erkrankung nicht an. Meine größte Narbe durch die OPs verläuft über den Hals und den gesamten Brustkorb und endet in mehreren kleinen Narben. Wenn ich direkt auf die Narbe angesprochen wurde, hörte ich oft, dass ich minderwertig und alles andere als hübsch sei. Das verletzte mich sehr. Zudem ist durch eine Verletzung eines Nervs während einer der Operationen mein linkes Stimmband gelähmt. Ich klinge ein wenig wie jemand, der zu viel gefeiert hat. Eine Narbe ist leicht zu verstecken, eine Stimme jedoch nicht. Oftmals waren die Beleidigungen diesbezüglich wesentlich härter und meist sehr geschmacklos. Sowohl Kinder als auch Erwachsene können manchmal ziemlich gemein sein und immer da drüber zu stehen ist schwer. Gerade als Mädchen oder Frau, wenn die Anforderungen an den perfekten Körper so groß sind.

Wie schaffst du es, eine so positive Energie auszustrahlen?

Ich habe auf einer Reiterwoche des BVHK einige ältere Jugendliche kennengelernt, die ich für ihre Ausstrahlung und Selbstzufriedenheit trotz Herzfehler bewundert habe. Das waren meine Vorbilder – nicht die klassischen, aber vielleicht gerade deshalb die Richtigen. So wurde es zu einer Herzensangelegenheit, mich gegen die Stigmatisierung von Schönheitsidealen und dem etablierten „perfekten Leben“ zu wehren, zu zeigen, dass kein Leben perfekt oder gar normal ist, sondern nur die eigenen Erfahrungen das eigene Leben zum „persönlichen Normal“ machen. Jeder Körper ist für sich normal und schön. Dies zu erkennen ist jedoch die Herausforderung. Und jedes Leben ist das auch, also sollte man nie aufhören zu träumen und sich an Ziele wagen, die einen glücklich machen, ganz egal wie weit dieses Ziel vielleicht entfernt scheint.

Ich habe gerade mein Abitur mit einem der besten Notendurchschnitte der Stufe geschafft, trotz vieler Ausfallzeiten – aber meine Familie, Freunde und mein Betreuungslehrer haben mit geholfen.

Man lernt durch eine solche Erkrankung das Leben von einer ganz neuen Seite zu schätzen, sich über ganz kleine Dinge zu freuen und dankbar für die Lehren zu sein, die man aus seinen Erfahrungen zieht. Die Kunst ist es, negative Gedanken in eine positive Stärke zu verwandeln, denn oftmals heißt es: Kämpfe mit allen Mitteln. Ich möchte so viel leben, wie es geht, da es keine Einschätzung für eine Lebenserwartung gibt.

Wie geht es dir jetzt?

Je älter man wird, desto mehr Komplikationen können auftreten. Seit 2014 sinkt meine Lungenfunktion allmählich, so dass ich heute nur noch eine Lungenfunktion von 39% habe. Diesen Zustand versuche ich durch viele Maßnahmen aufrechtzuerhalten. Eine stationäre Rehabilitation soll mir helfen, meine Muskeln und Lunge so weit zu trainieren und zu stabilisieren, dass eine Alltagsbelastung erzielt werden kann, mit der ich auch ein Studium antreten kann.

Seit 2015 engagiere ich mich in einem bundesweiten Verein, der erwachsene Betroffene und Familien mit Kindern mit demselben Herzfehler unterstützt. Ebenso blogge ich wöchentlich auf meinem Instagram-Account @fragments_of_living über meinen Alltag, über Hürden und positive Erlebnisse. Ich spreche vielen Mut zu, und dass man immer weiter machen muss. Dass man die Kleinigkeiten im Leben schätzen lernen sollte und dass, egal was kommt, wir immer etwas Wertvolles mitnehmen können. Manchmal ist die Resonanz so überwältigend, dass mir dies wieder Kraft gibt, weiterzumachen.

Welche Rolle spielen deine Familie, deine Freunde?

Meine Eltern sind und waren immer wie ein Boot, das mich trägt, wann immer ich sie brauche. Auch wenn ich jetzt selbstständiger bin, weiß ich, dass sie immer da sind. Unfassbar dankbar bin ich auch für viele Freundschaften, die mit anderen Betroffenen, aber auch mit ganz gesunden Leuten entstanden sind. Immer wieder merke ich, wie wichtig es ist, sich über den Herzfehler auszutauschen und dann dennoch die Freiheit zu besitzen, Einblicke in ein „gesundes“ Leben zu bekommen, an dem ich teilhaben darf. Vielleicht kann ich kein „gesundes“ Leben führen, aber ich kann immer kreative Wege finden, es trotzdem zu versuchen. Für mich geht es darum, so viel Leben wie möglich in Zeit zu bringen, anstatt Zeit in Leben. So lebe ich ein Leben mit nur einem halben Herz und weniger als einer halben funktionsfähigen Lunge mehr als voll und ganz.

Ich durfte bereits an der internationalen Kampagne „Scars are Beautiful“ von Brigitta Zatko teilnehmen und auch am „Projekt Grenzenlos“ von Saskia Frietsch und ihrem Freund Patrick um zu zeigen, dass Schönheit grenzenlos ist und dass ich stolz bin auf das, was mein Körper bereits geschafft hat. Wir können auf dieses Meisterwerk Körper und auch auf unsere persönliche Leistung stolz sein. Seit ich meinen Körper nicht nur annehme, sondern mit all seinen sichtbaren und unsichtbaren Besonderheiten lerne zu lieben, hat das Leben für mich mehr Wert, weil ich mich weniger sorgen muss. Und trotzdem hat jeder mal diese Tage, wo er sich nicht komplett schön findet. Ich kann mich heute guten Gewissens im Spiegel betrachten, stolz sein, dass ich nach all dem noch lächle und man Schönheit und den Stolz sehen kann. Saskias, Patricks und Brigittas, aber auch mein Ziel ist es zu zeigen, dass das Liebenlernen der eigenen Besonderheiten kein einfacher Weg ist, aber das Ziel ein wunderschönes und neues Lebensgefühl ist.

Was möchtest du anderen noch mit auf den Weg geben?

Manchmal gilt es, mutig zu sein und mit seinem Körper zu kämpfen, anstatt gegen ihn. Narben sind nichts, wofür man sich schämen sollte, sondern Symbole für die Kämpfe, die man überlebt hat. Und egal wie unterschiedlich diese Kämpfe und Erkrankungen auch sein mögen, wir haben alle etwas gemeinsam: Wir sind schön und einzigartig. Wir sind besonders, dadurch dass du, lieber Leser, du bist und ich, ich bin. Gemeinsam sind wir stark und jeder einzelne weniger allein.

Heute nehme ich alles so an, wie es kommt, weiß dass ich stark genug bin für mich einzustehen, dass ich nicht alleine bin und mir viele besondere Menschen den Rücken stärken, wenn es wieder heißt: Kämpfen! Denn das Ziel ist eins: Leben!

Vielen Dank für das Interview!

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